Dienstag, 27. November 2001

Ansprache des Präsidenten der Republik Kuba Fidel Castro Ruz, auf der antiimperialistischen Tribüne „Jose Marti" am 27. November 2001

Mitbürger:

Durch die US-amerikanischen Fernsehsender und die Nachrichtenagenturen erhielten wir die Nachricht, daß 30 Kubaner, darunter 13 Kinder, ums Leben gekommen waren bei einer Operation des Menschenschmuggels, die mit einem aus den USA kommenden Schnellboot mit US-amerikanischer Registernummer durchgeführt und von in jenem Land wohnenden Personen finanziert wurde.

Es war nicht das erste, sondern vielleicht das tausendste Mal, daß es als unheilvolle Frucht des mörderischen Cuban Adjustment Act zu solchen Geschehnissen gekommen war.

Immer wenn es zu einem dieser Ereignisse kommt, geben die US-Behörden keinerlei Informationen über Namen, Wohnort, Alter, Geschlecht oder jegliche andere Personalangabe der Opfer, die sie mit Hilfe der Informationen der Überlebenden und anderer Mittel identifizieren können. Die kubanischen Behörden sehen sich gezwungen, wie eine Stecknadel im Heuhaufen mittels langer und komplizierter Prozesse die entsprechenden Angaben zu suchen, um die Familien, Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Sozialversicherungen und jegliche andere Institution darüber zu benachrichtigen, was mit Personen geschehen ist, die ohne irgendeine Nachricht plötzlich verschwunden sind.

Über enge Kontakte, die durch persönliche und familiäre Besuche in beiden Richtungen ermöglicht wurden, die unser Land erlaubt, organisieren skrupellose Menschenhändler kostspielige und riskante illegale Fahrten von Gruppen von Personen aus verschiedenen Orten, bei denen das Leben von zahlreichen Kindern, die sie auf unverantwortliche Weise mitnehmen, in Gefahr gebracht wird.

Bei dieser Gelegenheit wurde von unseren Behörden bereits die Identität von fast der Hälfte der 13 Kinder festgestellt, von denen die Agenturmeldungen sprechen. Diese Kinder wurden ihren Klassenzimmern und Schulen entrissen, in denen sie ihren Unterricht absolvierten, und sie hatten keinerlei Ahnung von dem schrecklichen Tod, in den sie getrieben wurden auf einem Punkt des Meeres, wo man nicht einmal Spuren von ihnen gefunden hat.

Viele Jahre lang haben wir die US-Regierungen davor gewarnt, daß der seit dem 2. November 1966 gültige Cuban Adjustment Act und die Anreize zu den illegalen Ausreisen die Ursachen darstellen für enorme Risiken und den Verlust von vielen Menschenleben.

Seit dem Sieg der Revolution hat unser Land der legalen Emigration kubanischer Bürger in die Vereinigten Staaten oder irgendein anderes Land niemals Hindernisse in den Weg gelegt. Als die Revolution siegte, strebten viele Menschen in Kuba, genauso wie im Rest der Karibik und Lateinamerikas – die die Armut und die Unterentwicklung erlitten -, danach, zu emigrieren, auf der Suche nach besser bezahlten Beschäftigungen und besseren materiellen Lebensbedingungen als in ihren eigenen Ländern, die Jahrhunderten der Ausbeutung und Ausplünderung unterworfen waren, niemals hätten finden können. Bis 1959 war die Erteilung von Visa an Kubaner äußerst begrenzt. Die Türen öffneten sich damals aus offensichtlichen Gründen vollständig.

So entstanden bedeutende Ansiedlungen kubanischen Ursprungs in den USA. Die überwiegende Mehrheit reiste mittels legaler Formalitäten, Dokumente und Wege. Trotz der zunehmenden Spannungen und einiger Konflikte über das Migrationsthema wurden mehr als einmal Abkommen zwischen beiden Ländern unterzeichnet, die während mehr als vier Jahrzehnten den sicheren und geordneten Transport von Hunderttausenden von kubanischen Bürgern in die Vereinigten Staaten ohne den Verlust eines einzigen Lebens eines Kindes oder Erwachsenen ermöglichten.

Die kubanischen Emigranten sind als Ergebnis der revolutionären Programme in der Regel Personen mit einem hohen Schulniveau und hoher technischer oder fachspezifischer Ausbildung.

Bis zum 9. November 2001 sind 132 586 Bürger im Einklang mit den letzten Abkommen vom September 1994 und Mai 1995 mit Einreisevisa und auf absolut sicheren Wegen in die USA gereist.

Die Politisierung des Migrationsphänomens von Seiten der Vereinigten Staaten, im Besonderen in bezug auf Kuba, war der Grund für diese und viele andere Tragödien. In ihrer Interessenvertretung wählen sie das Personal aus, das Visa beantragt, verlangen Dokumente hinsichtlich der Gesundheit, dem Bildungsstand und dem Verhalten, polizeiliche Führungszeugnisse und andere Bedingungen; oftmals versuchen sie, diese Angaben für die Auswahl von hochqualifizierten und gesellschaftlich bedeutsamen Fachleuten zu nutzen, wobei sie Kuba Ärzte, Ingenieure, Architekten und andere Universitätsabsolventen entreißen, die kostenlos in unserem Land ausgebildet wurden, ohne daß dies die USA auch nur einen Cent kosten würde im Vergleich zu den Zehn- oder Hunderttausenden von Dollar, die sie für die Ausbildung von jeder dieser Personen in ihrem Land aufwenden müßten. Dies ging so weit, daß wir gezwungen waren, bestimmte Restriktionen bezüglich der Frist bei der Ausreise von Personen festzulegen, die einigen technischen Kategorien angehören, und zwar mit dem Ziel, die Beeinträchtigung wichtiger Dienstleistungen zu verhindern.

Es ist zudem traditionell, daß Kuba die unterzeichneten Abkommen strikt einhält. Dies ist nicht so auf der anderen Seite. Wegen Druckausübungen und Faktoren innenpolitischen Charakters verletzt sie wiederholt und systematisch die Verpflichtungen oder erfüllt sie nur halb in bezug auf die zu ergreifenden Maßnahmen gegenüber denjenigen, die gegen die Gesetze verstoßen, um in die USA zu emigrieren, und auf hoher See abgefangen werden, oder die Anstrengungen zur Durchführung dieses Abfangens werden auf ein Minimum reduziert.

Das Schlimmste ist, daß diejenigen, die an ihrer Küste das Festland betreten, automatisch ohne irgendeine Forderung oder Bedingung empfangen werden. Dubiose Personen mit Vorstrafen aller Art, die niemals ein Visum erhalten, wenn sie es beantragen, erwerben das Recht, sofort eine Arbeit aufzunehmen und den Wohnsitz in den USA einzunehmen. Auf diese Weise wird der Sinn und das Ziel der Migrationsabkommen verletzt und die Güter und die Sicherheit der US-Bürger werden in Gefahr gebracht. Viele derer, die später zu den Netzen der Emigranten- und Drogenhändler gehören, kommen aus der Gruppe dieser gewalttätigen und mit einer langen Vorstrafenliste ausgestatteten Personen, die akzeptiert werden, wenn sie illegal in die USA einreisen.

Die US-Behörden kennen und besitzen Informationen über diejenigen, die den Handel mit Immigranten betreiben. In unserem Land haben wir in den letzten vier Jahren mehr als 110 dieser in den USA wohnenden Menschenhändler festgenommen; sie kommen in Schnellbooten über das Meer, um ihre Fracht von Emigranten einzusammeln; die US-Behörden akzeptieren nicht ihre Rückgabe, um sie vor ihre Gerichte zu stellen, denn von dort kommen sie, dort wohnen sie, von dort stammen die Boote und dort werden die Operationen in Auftrag gegeben und bezahlt.

Unser Land unternimmt große Anstrengungen, um dieses schwerwiegende internationale Delikt zu bekämpfen; in den Vereinigten Staaten wird absolut nichts gemacht.

Wenn es umgekehrt wäre, wenn US-amerikanische Kinder fast ständig aufgrund des Menschenhandels mit aus Kuba kommenden, in Kuba registrierten und von in Kuba lebenden Personen gesteuerten Booten stürben, würde das Volk der Vereinigten Staaten mit der tiefsten und gerechtfertigsten Wut reagieren. Warum kann man das dagegen in bezug auf Kuba machen? Jedes Jahr, jeden Monat, jede Woche, fast jeden Tag, über Jahrzehnte hinweg, seit der unheilvolle und wahnsinnige Cuban Adjustment Act im Jahr 1966, vor bereits 35 Jahren, verabschiedet und seitdem nicht im Geringsten eingeschränkt oder annuliert wurde, werden denjenigen, die sich auf dieses Gesetz berufen, mehr und mehr Privilegien gewährt, und zwar aufgrund des Drucks der terroristischen Mafia aus Miami und der bestechlichen Haltung und willkürlichen Interpretationen von US-Regierungsbeamten und –Behörden.

Das letzte solcher Privilegien besteht darin, mit falschen Ausweispapieren mit jeglicher Fluggesellschaft auf das US-Staatsgebiet einzureisen und sich direkt nach der Ankunft als Bürger kubanischer Herkunft zu erkennen zu geben, worauf man als nicht strafbar erklärt wird und die Begünstigung erhält, in den USA seinen Wohnsitz einzunehmen. Wie kann man den Wunsch anführen, die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu schützen, wenn solche Gesetzesverletzungen und Praktiken akzeptiert werden, die die US-Gesetze verunglimpfen und Chaos, Anarchie und Unordnung fördern? Wie könnte man auf diese Weise eine Schlacht gegen das organisierte Verbrechen, den Terrorismus, den Handel mit Drogen und Emigranten und andere Arten des internationalen Verbrechens schlagen? Warum müssen kubanische Kinder, deren Sterblichkeitsrate im ersten Lebensjahr auf weniger als 7 pro eintausend Lebendgeborene gesenkt wurde – diese Rate ist sogar niedriger als in den USA -, auf diese grausame Weise wegen dem erwähnten Gesetz sterben?

Warum müssen kubanische Kinder, von denen keines ums Leben kommt bei gewaltigen Hurrikans und Naturkatastrophen, die aufgrund des fehlenden Schutzes in anderen Ländern den Verlust von Tausenden von Menschenleben verursachen, auf dem Grund des Meeres sterben? Wenn die kubanischen Kinder – jedes einzelne von ihnen – in den Genuß der vorgeburtlichen Betreuung kommen, der Geburt in Krankenhäusern, nachgeburtlicher Intensivbetreuung, kostenloser ärztlicher Betreuung während des ganzen Lebens, der Impfung gegen 13 vermeidbare Krankheiten, angemessener Ernährung, Kinderkrippen, Vorschul- und Grundschulbildung, Sonderschulen für diejenigen, die dies benötigen, Mittelschulbildung, die fast einhundert Prozent der Schüler absolvieren und abschließen, höhere Mittelschulbildung ohne irgendeine Ausnahme für all diejenigen, die sie absolvieren möchten, Dutzende von Universitätszentren mit den verschiedensten Studiengängen; wenn die angesehensten internationalen Institutionen anerkennen, daß die Gesundheits-, Bildungs-, Körperkultur- und Sportleistungen, die unsere Kinder erhalten, unter den besten der Welt rangieren, wobei alle absolut gratis sind; wenn den kubanischen Kindern der höchste Anteil der Bruttoeinnahmen des Landes und des Staatshaushalts gewidmet wird; wenn mehr als eine halbe Million mehrheitlich hochqualifizierte Menschen für die Kinder, Heranwachsenden und Jugendlichen mit Gewissenhaftigkeit Dienste leisten; wenn die kubanischen Kinder herausragende Plazierungen bei internationalen Wissenswettbewerben erringen; wenn die kubanischen Kinder weder das Laster der Drogen kennen noch in den Schulen als Opfer von Schußwaffen und Gewalt sterben; wenn für sie der unaufhaltsame Marsch hin zu einer allgemeinen integralen Kultur entfaltet wird, der unser Volk zum gebildetsten der Welt machen wird, warum müssen sie dann sterben, indem sie in der Nähe Floridas von den Haien verschlungen werden?

Warum ist Kuba das einzige Land auf der Erde, dessen Kinder man dieses mögliche Schicksal wegen eines Gesetzes beschert, dem es an ethischer Rechtfertigung, Erklärung und möglicher Entschuldigung fehlt?

Seien es dreizehn, sechs oder nur ein einziges Kind, das bei dem dramatischen Untergang des Schnellboots im Rahmen einer Operation des Menschenschmuggels mit 30 oder mehr kubanischen Bürgern an Bord starb, es stellt für die Vereinigten Staaten eine Schande vor den Augen der Welt dar.

Es ist nicht die erste und einzige Gruppe, die diese Tragödie erlitten hat. Die Anzahl derer, die zum Opfer eines ähnlichen Schicksals geworden sind, ist unermeßlich, ohne daß dies dazu führt, daß die Behörden dieses Landes sich entscheiden, gegen den verabscheuungswürdigen und widerlichen Menschenhandel zu kämpfen. Wir haben unsere ernsthafte Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Drogenhandel, den Menschenhandel oder jegliche andere Form des internationalen Verbrechens angeboten. Aus reinem politischem Hochmut wurde diese Zusammenarbeit angelehnt oder auf ein Minimum begrenzt.

Kuba war das erste Land, das am 11. September seine Unterstützung für das US-amerikanische Volk angesichts der gegen dieses Volk verübten grausamen Tat, und es schlug die Idee der Schaffung eines universellen Bewußtseins gegen den Terrorismus und des Vorantreibens eines aktiven internationalen politischen Kampfes zur wirksamen und angemessenen Beseitigung der Geißel des Terrorismus vor, der unser Land über mehr als vierzig Jahre hinweg so geschädigt hat. Kuba war auch das erste Land, das als Antwort auf die Petition des UN-Generalsekretärs an die Mitgliedsstaaten dieser Weltorganisation den zwölf internationalen Vereinbarungen auf dem Gebiet des Terrorismus beitrat.

Jetzt erhält es den harten Schlag der Nachricht von zahlreichen Kindern, die bei dem unheilvollen Untergang im Morgengrauen des 17. November vom Meer verschlungen wurden, im Rahmen eines widerwärtigen Handels mit kubanischen Emigranten.

Wegen der ums Leben gekommenen Erwachsenen, von denen einige schuldig sind, sich von dem Abenteuer haben verführen zu lassen, das ihre Kinder in den Tod trieb, fühlen wir Schmerz und Anteilnahme, und wir drücken ihren Verwandten unser Mitleid aus. Wegen der Kinder, die in einen ungerechten und unverdienten Tod getrieben wurden, fühlen wir wahre Trauer. Sie waren Kreaturen, die dem Vaterland entrissen wurden, das allen Kindern so viel Liebe und Aufmerksamkeit schenkt.

Wir geben nicht der aktuellen Regierung die Schuld, ein Phänomen hervorgebracht zu haben, welches die Frucht von Jahrzehnten der Aggression, Feindseligkeit und Verbrechen gegen Kuba ist, begangen von aufeinanderfolgenden Administrationen im Laufe von vielen Jahren; doch wir haben das Recht zu fordern, daß einer unzivilisierten und barbarischen Politik ein Ende bereitet wird.

Ähnliche Ereignisse versetzen der Autorität und der Moral der Vereinigten Staaten Schläge und richten sich gegen ihre Interessen, wo sie heutzutage mit einem komplexen und schwierigen Kampf gegen den Terrorismus beschäftigt ist, in den, ausgehend von den tragischen und schmerzlichen Geschehnissen des 11. September, auf die eine oder andere Art die gesamte Völkergemeinschaft verwickelt ist. Niemand wird verstehen, warum dieses unmoralische und ungerechte Gesetz aufrechterhalten wird, das so viele unschuldige kubanische Kinder in einen grausamen und nicht zu rechtfertigenden Tod treibt.

Millionen von Bürgern der Karibik, Mexikos und des restlichen Lateinamerikas haben das Recht, sich zu fragen, warum sie verfolgt und aus dem Land geworfen werden, wenn sie illegal einreisen, während im Gegensatz dazu die Kubaner, die dies tun, stimuliert und prämiert werden. Die selbe Frage können Hunderte Millionen von Asiaten, Afrikanern und Menschen aus anderen Regionen der Welt stellen. Die Wirtschaftskrise und die weltweit verbreitete Armut werden den Migrationsdruck auf die USA vervielfachen. Der Cuban Adjustment Act wird für diejenigen, die danach streben, auf die eine oder andere Weise zu emigrieren, ein wichtiges und unanfechtbares moralisches Argument sein.

Überall wird es Menschen geben, die stets das Risiko des Verlustes des eigenen Lebens eingehen werden, um illegal zu emigrieren, doch es wird niemals eine Rechtfertigung dafür geben, daß man ihnen einen Anreiz zur illegalen Emigration verschafft. So etwas stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, eine abscheuliche Verachtung für das menschliche Leben.

Wir würden keinen Adjustment Act für die anderen Länder vorschlagen, denn es ist ein mörderisches Gesetz, doch wir würden sehr wohl die Entwicklung der Dritten Welt vorschlagen, wenn man nicht will, daß deren überschüssige Bevölkerung die reichen Gesellschaften zerdrückt, auf Kosten des vielen Blutes der Emigranten, die versuchen werden, auf allen Wegen in die reichen Länder einzusickern. Wir würden Gerechtigkeit für die Welt und ein bißchen Licht für die blinden Politiker vorschlagen, die heute die am meisten entwickelten und reichsten Nationen der Welt anführen.

Der Cuban Adjustment Act stellt nicht nur ein mörderisches Gesetz dar, sondern auch ein terroristisches Gesetz, eines Terrorismus der schlimmsten Art, der bewußt und ohne die geringste Reue unschuldige Kinder tötet.

Vaterland oder Tod!

Wir werden siegen!

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