Dienstag, 25. Februar 2003

Fidel Castro Ruz auf der 13. Konferenz der Staats- oder Regierungschefs der Bewegung der Blockfreien Staaten in Kuala Lumpur, Malaysia

Ansprache des Präsidenten der Republik Kuba, Fidel Castro Ruz, auf der 13. Konferenz der Staats- oder Regierungschefs der Bewegung der Blockfreien Staaten in Kuala Lumpur, Malaysia, am 25. Februar 2003

Seine Exzellenz und geachteter Freund Mahathir bin Mohamad, Ministerpräsident von Malaysia!

Sehr geehrte Staatsoberhäupter und andere Delegationsmitglieder!

Geehrte Gäste!

Wir leben in schwierigen Zeiten. In den letzten Monaten haben wir mehr als einmal schaurige Worte und Konzepte zu hören bekommen. Der Präsident der Vereinigten Staaten erklärte bei einer Ansprache vor den Kadetten von West Point am 1. Juni 2002: „Unsere Sicherheit wird die Umgestaltung des Militärs erfordern, daß Sie anführen werden- ein Militär, daß jeder Zeit bereit sein muß, in jeder dunklen Ecke der Welt umgehend anzugreifen."

Am selben Tag rief er die Doktrin des Präventiv- und Überraschungskrieges aus, etwas, was nie jemand in der politischen Geschichte der Welt getan hat. Monate später, als er sich auf die unnötige Militärhandlung gegen Irak bezog, die sie fast sicher durchführen werden, erklärte er: „...wenn man uns zum Krieg zwingt, dann werden wir mit der vollen Macht unserer Streitkräfte kämpfen."

Diejenige, die das erklärte, war nicht die Regierung eines kleinen und schwachen Staates; es war das Staatsoberhaupt der reichsten und mächtigsten Militärmacht, die je existierte, Besitzer von Tausenden von Atomwaffen, ausreichend um die Weltbevölkerung mehrmals zu vernichten, und von anderen Furcht erregenden militärischen konventionellen oder Massenvernichtungssystemen.

Das sind wir: „Dunkle Ecken des Planeten." So sehen einige die Länder der Dritten Welt. Niemals hat uns jemand besser definiert, noch tat er es mit mehr Verachtung.

Die ehemaligen Kolonien der Mächte, die sich jahrhundertelang die Welt aufteilten und sie plünderten, sind wir heutzutage diejenigen, welche die Gesamtheit der unterentwickelten Länder darstellen. Für keines von uns gibt es vollkommene Unabhängigkeit, gerechte und gleiche Behandlung, noch nationale Sicherheit; keines ist ständiges Mitglied des Sicherheitsrates, keines hat Vetorecht oder entscheidet etwas in den internationalen Finanzorganen; weder kann irgendeines seine besten Talente zurückhalten, noch sich der Kapitalflucht erwehren, oder der Zerstörung der Natur und der Umwelt, verursacht durch das verschwenderische, egoistische und unersättliche Konsumdenken der Länder mit entwickelter Wirtschaft.

Nach dem letzten Weltgemetzel in den vierziger Jahren versprach man uns eine Welt in Frieden, die Distanz zwischen Reichen und Armen zu vermindern und daß die Entwickeltsten den weniger Entwickelten helfen würden. Alles war eine riesige Falschheit. Man zwang uns eine Weltordnung auf, die unhaltbar und unerträglich ist. Die Welt wird in eine Sackgasse geführt. In nur 150 Jahren werden das Gas und das Erdöl aufgebraucht sein, für deren Akkumulation der Planet 300 Millionen Jahre brauchte.

Die Menschheit wuchs in nur 100 Jahren von ungefähr 1,5 Milliarden auf mehr als 6 Milliarden Einwohner an. Sie wird vollständig von Energiequellen abhängen müssen, die noch zu erforschen und entwickeln sind. Die Armut wächst; alte und neue Krankheiten bedrohen ganze Nationen zu vernichten; die Erde wird erodiert und verliert Fruchtbarkeit; das Klima ändert sich, die Luft, das Trinkwasser und die Gewässer sind jedesmal mehr verseucht.

Der Organisation der Vereinten Nationen wird immer mehr Autorität genommen, sie wird behindert und zerstört; die Entwicklungshilfe wird vermindert; der Dritten Welt wird die Zahlung einer Auslandsschuld von 2,5 Billionen Dollar abgefordert, was absolut unbezahlbar ist unter den jetzigen Bedingungen; andererseits werden jährlich eine Billion Dollar für immer modernere und tödlichere Waffen ausgegeben. Warum und wozu?

Eine ähnliche Summe wird für Verkaufspublizität ausgegeben, indem man Konsumbegierden sät, die für Milliarden von Menschen unmöglich zu erfüllen sind. Warum und wozu?

Unsere Art ist das erste Mal dem realen Risiko ausgesetzt, wegen dem Irrsinn der Menschen selbst und als Opfer von so einer „Zivilisation" auszusterben. Jedoch wird niemand für uns, die wir die riesige Mehrheit sind, an unserer Stelle kämpfen. Nur wir selbst, mit Unterstützung von Millionen Werktätiger der Hand- und intellektuellen Arbeit der entwickelten Länder selbst, die auch die Katastrophe auf ihre Völker niederkommen sehen, können in der Lage sein, sie zu retten, indem wir Ideen säen, Bewußtsein herausbilden, die Weltöffentlichkeit und das nordamerikanische Volk selbst mobilisieren.

Niemand hat es nötig, daß jemand es ihm sagt. Ihr wißt es sehr gut. Unsere heiligste Pflicht ist es, zu kämpfen und wir werden kämpfen!

Vielen Dank! (anhaltender Beifall)

Bei der Abschlußveranstaltung der 13. Konferenz der Staats- und Regierungschefs der Bewegung der Blockfreien Länder in Kuala Lumpur, Malaysia

Ansprache des Präsidenten der Republik Kuba, Fidel Castro Ruz, bei der Abschlußveranstaltung der 13. Konferenz der Staats- und Regierungschefs der Bewegung der Blockfreien Länder in Kuala Lumpur, Malaysia, am 25. Februar 2003.

Sehr geehrter Herr Mahathir bin Mohamad, Präsident der Bewegung der Blockfreien Länder!

Geehrte Staats- und Regierungschefs!

Geehrte Vertreter und Gäste!



Ich danke den Teilnehmern an dieser Versammlung im Namen der Regierung und des Volkes von Kuba für das in uns gesetzte Vertrauen, um uns als Sitz der nächsten Konferenz der Bewegung der Blockfreien Länder zu bestimmen. Es ist eine sehr große Ehre, sehr weit über unserem bescheidenen Beitrag zur gemeinsamen Sache, die wir nicht enttäuschen werden.

Wir sind überzeugt, daß der notwendigen Stärkungsprozeß unserer Bewegung, für den wir uns einsetzen, es uns erlauben wird, die Dynamik und unentbehrliche Kraft zurückzugewinnen, um den Herausforderungen und Gefahren der heutigen Welt zu begegnen, und für die Blockfreien Länder die Rolle wieder aufzunehmen, die uns in der internationalen Arena zusteht, was unter der Führung eines so glänzenden und fähigen Mannes wie dem Ministerpräsidenten von Malaysia, Mahathir bin Mohamad, von allen geachtet, anerkannt und bewundert, sofort neue Impulse erhalten wird. Er gewann großen Ruhm und Anerkennung, als er gegenüber der schweren Krise, die der asiatische Südosten erlitt, neue Wege aufzeigte und mit Mut die verhaßten Methoden und gefürchteten Institutionen herausforderte. Malaysia ist heutzutage vor den Augen aller, ein bewundernswertes Land, teils dank seines Talents, seines Charakters und seiner Führungsfähigkeit.

Kuba ist bereit, gemeinsam mit Euch allen daran zu arbeiten, die entschiedene Handlung der Bewegung innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen zu konsolidieren, im Kampf für den Frieden, die Gerechtigkeit, die Chancengleichheit, für die Achtung der Prinzipien des Völkerrechts, welche schon immer Grundlage der Bewegung der Blockfreien Länder waren; und im Kampf für die Entwicklung und gegen eine internationale Wirtschafts- und Finanzordnung, die uns ins soziale Abseits drängt und uns immer ärmer und abhängiger macht.

Bei diesem Kampf sind die Einheit und die Solidarität unter uns unumgänglich. Kuba wird seinerseits entschlossen die Kooperation und Absprache der Bemühungen zwischen unseren Ländern fördern, und nicht von seinem erprobten Geist der uneigennützigen und selbstlosen Solidarität gegenüber den anderen Völkern, die Opfer des Kolonialismus und der erbarmungslosesten Ausbeutung waren, abweichen.

Unser nächstes Treffen in Havanna im Jahr 2006 muß dazu dienen, um zu bekunden, daß die Bewegung der Blockfreien Länder erneut eine effektive Kraft in der internationalen Arena unserer Zeit darstellt. Diese Bewegung ist jetzt notwendiger als je. Wenn wir uns früher bemühten, einen ehrenvollen Platz inmitten des Kampfs zwischen zwei Supermächten einzunehmen, kämpfen wir heutzutage zwischen dem Risiko der unilateralen Hegemonie und der einzig möglichen und annehmbaren Art und Weise zu überleben: der Existenz einer multilateralen Welt, wo der Frieden, die Freiheit, die Entwicklung und der Fortschritt für alle möglich ist.

Unsere Völker brauchen das so. Wir können sie nicht enttäuschen.

Deshalb wiederhole ich allen Teilnehmern des 13. Gipfels der Bewegung der Blockfreien Länder den Dank und die bedingungslose Verpflichtung von Kuba.

Vielen Dank!

Freitag, 14. Februar 2003

Zum Abschluß des V. Treffens zu Globalisierung und Entwicklungsproblemen im Palast der Konventionen in Havanna, am 14. Februar 2003

Rede des Präsidenten der Republik Kuba Fidel Castro Ruz zum Abschluß des V. Treffens zu Globalisierung und Entwicklungsproblemen im Palast der Konventionen in Havanna, am 14. Februar 2003

Sehr verehrte Teilnehmer des Treffens zu Globalisierung und Entwicklung!

Verehrte Gäste!

Wir haben uns heute hier eingefunden, um mit aller Achtung die unterschiedlichen Standpunkte zu debattieren und anzuhören. Mit ihrer Anwesenheit beehrten und eminente und auserlesene Denker sowie Vertreter internationaler Organe, die so freundlich waren, unserer Einladung zu folgen, obwohl ihnen bekannt war, daß die Kriterien der meisten Teilnehmer von den politischen Praktiken der von ihnen vertretenen Institutionen abweichen. Die Gastfreundschaft und Achtung jenen gegenüber, die anderer Meinung sind, ist zur Tradition dieser Treffen geworden. Wozu dienten sonst unsere Analysen, würden unsere Ideen nicht mit anderen ganz gegensätzlichen konfrontiert, couragiert vertreten von jenen, die eine andere Weltanschauung besitzen?

Auch wir, die wir keine Akademiker sind, benötigen eine Dosis von Mut. Wenngleich wir bestrebt sind, uns so gut wie möglich über alle Geschehnisse in der Welt zu informieren, mangelt es doch mitunter ganz schrecklich an Zeit, um unseren Wissensdurst nach der steigenden Anzahl von Fakten und Kriterien im Zusammenhang mit dem besonderen historischen Prozeß, den wir durchleben, zu stillen und die unsichere Zukunft, die vor uns steht, vorherzusehen versuchen.

Wir können nicht klagen. Uns wurde das Privileg zuteil, das zu durchleben, was ich als die außergewöhnlichste und entscheidendste Epoche zu bezeichnen wage, die die Menschheit bis heute gekannt hat. Wie der US-amerikanische Professor Edmund Phelps von der Columbia University zur Antwort gab, wenn ihm jemand eine Frage vorlegte, die außerhalb des von ihm behandelten ökonomischen Themas stand: „Es ist dies nicht mein Thema", so will auch ich gleich im voraus sagen, daß Ökonomie heute nicht mein Thema ist. Das meine ist politischer Art, auch wenn es ohne Politik keine Ökonomie und ohne diese keine Politik geben kann.

Alles, was es bis heute gegeben hat oder gibt, ist der Menschheit auferlegt worden. Angefangen von den Naturgesetzen, durch die sie sich zur Kategorie denkender Wesen entwickelte, bis hin zum ethnischen Ursprung und der Hautfarbe; von den durch die Wälder ziehenden Gruppen, Früchte und Wurzeln sammelnd, jagend oder fischend bis hin zu den kapitalistischen Konsumgesellschaften; dieser Verbrauch, durch den unsere Erde heute von einer Gruppe reicher Nationen ausgelaugt wird.

Der entwickelte Kapitalismus, der moderne Imperialismus und die neoliberale Globalisierung wurden der Welt als Ausbeutungssysteme aufgezwungen, ebenso wie das jahrhundertelange grundsätzliche Fehlen von Gerechtigkeitsprinzipien, wie sie von Denkern und Philosophen gefordert werden, und zwar für alle menschlichen Wesen, an deren Existenz auf der Erde noch nicht einmal gedacht werden kann. Nicht einmal jene, die 1776 die 13 englischen Kolonien Nordamerikas befreiten und als „evidente Wahrheiten" proklamierten, alle Menschen seien bei ihrer Geburt gleich und allen habe der Schöpfer unveräußerliche Rechte gegeben wie das Recht auf Leben, auf Freiheit und das Erlangen von Glück, waren fähig, die Sklaven zu befreien, weshalb diese monströse Institution noch fast ein Jahrhundert anhielt, bis sie dann, anachronistisch und unhaltbar, durch einen grausamen Krieg von zwar subtileren und „modernen" so doch nicht weniger grausamen Formen der Ausbeutung und Rassendiskriminierung abgelöst wurde. Das gleiche ist zu sagen von jenen, die unter der von der Französischen Revolution 1789 proklamierten Losung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht fähig waren, die Freiheit ihrer Sklaven auf Haiti und die Unabhängigkeit dieser reichen Kolonie in Übersee anzuerkennen. Demgegenüber entsandten sie zu ihrer Unterdrückung 30 000 Soldaten in dem nutzlosen Unterfangen, sie erneut zu unterwerfen. Über die Wünsche oder die Absichten der Männer der Aufklärung hinweg setzte ganz im Gegenteil eine Kolonialepoche ein, die über Jahrhunderte Afrika, Ozeanien und fast ganz Asien erfaßte, einschließlich so großer Länder wie Indonesien, Indien und China.

Die Tore des japanischen Marktes wurden mit Kanonenschüssen geöffnet, ebenso wie es heute Kanonenschüsse sind, die – auch nach einem im Namen der Demokratie, der Unabhängigkeit und Freiheit der geführten Krieges, der 50 Millionen Menschenleben kostete – die Tore öffnen für die WTO, das Multilaterale Investitionsabkommen, die Kontrolle der Finanzen der Welt, die Privatisierung der Unternehmen der Entwicklungsländer, das Monopol über Patente und Technologien und die beabsichtigte Forderung der Begleichung der in zwölfstellige Höhe angewachsenen Auslandsschulden, die die Gläubiger unmöglich eintreiben und die Schuldner unmöglich bezahlen können, die von Mal zu Mal ärmer, hungriger und immer weiter entfernt sind vom Lebensstandard ihrer Jahrhunderte währenden Metropolen, die ihre Kinder als Sklaven verkauften oder sie bis zum Umfallen ausbeuteten, wie sie es den Ureinwohnern dieser Hemisphäre antaten.

Man könnte nicht behaupten, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe es – so wie es Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts der Fall war – eine Neuaufteilung der Welt gegeben. Die Welt kann heute schon nicht mehr aufgeteilt werden, denn sie gehört fast ausschließlich jener Macht, die am Schluß dieser unheilvollen Historie als einzige Supermacht und mächtigstes Imperium hervorging, das es je gegeben hat. Man braucht nur zu betrachten, wie fast alle Hauptstädte der Welt mit Zittern auf das letzte Wort oder die neueste Erklärung warten, die in Washington abgegeben wird oder man kurz davor steht. Wenn es einmal die Illusion von der Existenz der Organisation der Vereinten Nationen gegeben hat, so wurde nach jenem unheilvollen 11. September, vor knapp 17 Monaten also, dieses Organ auf Beschluß des Imperiums doch faktisch aufgelöst, und das unbändigste unilaterale Vorgehen trat an seine Stelle.

Wie ich nun in diesen Tagen unsere verehrten Referenten und Gäste, scharfe Argumente ins Feld führend, über Themen diskutieren hörte wie die Weltwirtschaftkrise und speziell in Lateinamerika das Freihandelsabkommen FTAA (ALCA); die Entwicklungshindernisse für die armen Länder in der heutigen Welt; die Rolle der Sozialpolitik und die realen Fakten, oftmals im Detail, wie diese Themen die Ursachen so vieler Tragödien hervorbrachten; wenn ich hörte, das BIP sei gewachsen oder gesunken; es sei zwar zu einem anhaltenden Wachstum gekommen, doch dann sei dieses wieder verebbt; eine Steigerung der Exporte sei der einzige Weg für eine Abnahme des Defizits, für einen Bilanzausgleich, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Abnahme der Anzahl der Armen, das Ankurbeln der Entwicklung, das Einhalten von Verpflichtungen; oder wenn ein anderes Mal behauptet wurde, Privatisierungen können sehr nützlich sein, Vertrauen schaffen, Investoren anziehen, Wettbewerbsfähigkeit anregen usw. usf., dann konnte ich nicht umhin zu bewundern, mit welchem Nachdruck man uns seit einem halben Jahrhundert die Art und Weise empfiehlt, aus Unterentwicklung und Armut herauszukommen.

Vordem sagte ich bereits, daß jede Meinung zu respektieren war. Doch ebenso kann dies mit den vielen Zweifeln und Fragen geschehen, die sich bei uns ergeben. In welcher idyllischen Welt leben wir? Wo sind die mindesten Gleichheitsbedingungen für das Umsetzen der Lösungswege, die man uns in den Volkswirtschaftsschulen für die Entwicklung der Länder der Dritten Welt lehrt? Gibt es sie vielleicht tatsächlich, die freie Konkurrenz, gleiche Verfügbarkeit der Ressourcen, freien Zutritt zu den entsprechenden Technologien, deren Monopol in den Händen jener liegt, die das Ergebnis nicht nur des eigenen, sondern auch des fremden Talents besitzen, das den weniger entwickelten Ländern abgeworben wurde, ohne dafür auch nur einen Cent jenen zu bezahlen, die mit ihren wenigen Mitteln dieses Talent ausgebildet haben? Wer hält die Zügel der internationalen Geldinstitute und der großen Fondsüberschüsse in der Hand? Wer sind die Eigentümer der großen Banken? Wo, wie und durch wen werden die enormen Summen gewaschen und deponiert, die aus Finanzspekulation, Steuerhinterziehung, Drogenhandel im großen Maßstab und aus den großen Unterschlagungen stammen? Wo sind die Gelder von Mobutu und einem weiteren Dutzend großer Veruntreuer von Staatsvermögen, die mit Einverständnis ihrer westlichen Vormunde die Ressourcen und die Souveränität ihrer Länder dem ausländischen Kapital auslieferten? Wie, auf welchem Wege und wo sind Hunderte Milliarden Dollar zu suchen, die aus der ehemaligen UdSSR und aus Rußland verschwanden, als die Berater, Techniker, Spezialisten und Ideologen Europas und der Vereinigten Staaten es zu dem brillanten und seligen Weg des Kapitalismus führten, auf dem eine Horde Aasgeier, von allen Seiten kommend, sich eines großen Teiles der natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen des Landes bemächtigte? Wer haftet moralisch dafür, daß heute seine Bevölkerungszahlen zurückgehen und sich die Gesundheitsindikatoren – einschließlich Säuglings- und Müttersterblichkeit – verschlechtert haben und daß viele Bürger, unter ihnen alte Menschen, die seinerzeit gegen den Faschismus kämpften, Hunger leiden und in extremer Armut leben, wovon Millionen Menschen betroffen sind? Wer zerstört durch das Medienmonopol die nationalen Kulturen anderer Völker und streut das Gift des Konsumdenkens in alle Ecken der Welt? Wie ist zu verstehen, daß jährlich eine Billion Dollar zu Zwecken der Werbung ausgegeben werden, mit denen Hauptprobleme im Bildungswesen, dem Gesundheitswesen, Mangel an Trinkwasser und Wohnraum, Arbeitslosigkeit, Hunger und Unterernährung gelöst werden könnten, die Milliarden Menschen unserer Erde geißeln? Handelt es sich hierbei schlicht um ein ökonomisches und nicht um ein politisches und ethisches Problem?

Die neoliberale Globalisierung ist eine auf schamloseste Weise verübte Neukolonisation der Dritten Welt. Das FTAA bedeutet, wie hier bereits wiederholt zum Ausdruck kam, die Annexion Lateinamerikas an die Vereinigten Staaten, eine unechte Bindung zwischen ungleichen Seiten, bei der der Stärkere die Schwächeren – einschließlich Kanada, Mexiko und Brasilien – schlucken wird. Ein unmoralisches Abkommen für den Transfer von Kapital und Waren und den Tod der „Verwegenen", die versuchen, an der Schlachtbank, der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten, in das Imperium zu gelangen. Für sie ist kein Adjustment Act in Kraft, das automatisch zu Aufenthalt und Beschäftigung berechtigt – welche Verletzungen und Vergehen man auch begangen haben mag – und das ausgedacht wurde, um Kuba zu destabilisieren zur Strafe für die revolutionären Umwälzungen, die in unserer Heimat stattgefunden haben.

Als Revolutionär und Kämpfer, der ich wahrlich glaube, daß eine bessere Welt möglich ist, muß ich mit fester Entschlossenheit und ohne jegliches Zögern meine Meinung zum Ausdruck bringen, wonach die Privatisierung der Güter und natürlichen Ressourcen eines Landes als Gegenleistung zur ausländischen Investition ein großes Verbrechen darstellt, gleich einer billigen fast kostenfreien Auslieferung der Mittel, die die Völker der Dritten Welt zum Leben brauchen. Das führt zu einer neuen bequemeren und egoistischeren Form der Neukolonisation, in der die öffentlichen und andere wesentliche Ausgaben, die früher den Metropolen zukamen, nun die Einheimischen zu tragen hätten.

Kuba benutzt in seinen Beziehungen zum Auslandskapital Formen der Zusammenarbeit, die für beide Seiten von Vorteil und gut abgewägt sind, daß sie weder der Souveränität schaden, noch dem ausländischen Kapital oder der ausländischen Macht die Kontrolle über die Güter und das politische, kulturelle und Wirtschaftsleben des Landes preisgeben.

Die Regel ist: Wir haben absolut nichts zu verschenken und in dem Dilemma nun, einen Preis zu bezahlen, geben wir dem Cäsar, was des Cäsars und dem Volk, was des Volkes ist. Keiner täusche sich; wir sind ein sozialistisches Land, und wir werden es bleiben. Trotz aller Hindernisse sind wir dabei, eine neue und humanere Gesellschaft aufzubauen, mit mehr Erfahrung, Enthusiasmus, Energie und Träumen denn je. Im Umlauf ist der Dollar; der Euro beginnt zu zirkulieren, und zum Zwecke der Erleichterung in der Tourismusbranche könnten weitere Währungen folgen. Ebenfalls im Umlauf und gewichtig ist der normale kubanische Peso und der konvertierbare kubanische Peso. Die Währungslage ist unter Kontrolle. Der Wert unserer Landeswährung hielt sich während des ganzen Jahres 2002 stabil, etwas Ungewöhnliches in anderen Ländern, und es gibt keine Devisenflucht.

Zu den riesigen allzu gut bekannten diese Hemisphäre erdrückenden Übeln gehört die enorme Auslandschulden, deren Schuldendienst an Kapital und Zinsen mitunter 50 Prozent der Landesbudgets ausmachen und auf Kosten von Leistungen geht, die für ein jedes Land lebenswichtig sind: Gesundheitswesen, Bildungswesen und soziale Sicherheit.

Die überaus hohen Zinsen, die sich die Regierungen für die Bankeinlagen zu zahlen gezwungen sehen, um sich gegen die spekulativen Runs und die Kapitalflucht zu verteidigen, lassen jegliche Entwicklung mit den eigenen Mitteln der Länder unmöglich werden.

Der von der neuen Wirtschaftsordnung aufgezwungene freie Geldwechsel ist für die schwachen Wirtschaften der Länder, die sich zu entwickeln bestrebt sind, ein tödliches Instrument. Seit geraumer Zeit ist das Geld nicht mehr ein Wert an sich, so wie es in früheren Zeiten war, als es noch aufbewahrt und wie Gold- oder Silberstücke als Schatz vergraben werden konnte.

In Bretton Woods – wie alle Ökonomen wissen – erhielten die Vereinigten Staaten, die 80 Prozent der Goldreserven der Welt besaßen, das Recht der Geldemission des internationalen Währungsfonds. Doch für jedes ausgegebene Papiergeld waren sie zur Goldeinlösung seines Wertes verpflichtet. Man kam dieser Pflicht nach, indem der Wert des Papiergeldes durch einen stabilen Goldpreis gewährleistet wurde. Diese Preisstabilität erzielte die Regierung jenes Landes durch Kauf oder Verkauf des Edelmetalls in genügenden Mengen, wenn es auf dem Markt zu Überschüssen oder Defiziten des Goldes kam. Nach diesem Rezept wurde bis 1971 verfahren, als ein Präsident der Vereinigten Staaten, Richard Nixon, nach enormen militärischen Ausgaben und einem Krieg ohne Besteuerung den unilateralen Entschluß faßte, die Goldeinlösung des US-amerikanischen Papiergeldes abzuschaffen.

Es konnte sich damals keiner die kolossale Spekulation vorstellen, zu der es nach dem Kauf und Verkauf von Währungen kommen sollte und die sich heute in kosmischen Höhen von mehr als einer Billion Dollar täglich bewegt.

Das erlangte Vertrauen in den Dollar und seine Kreditwürdigkeit, seine gewohnheitsmäßige und von allen akzeptierte Benutzung als Umrechnungsmittel, die enorme Wirtschaftskraft des Emissionslandes und das Fehlen eines anderen Mittels dieser Art führten dazu, daß der Dollar diese seine Rolle weiter wahrnahm.

Von diesem Vorrecht konnten die lateinamerikanischen noch andere Länder der Dritten Welt keinen Gebrauch machen noch können sie es heute. Auf dem Weltmarkt sind unsere Währungen einfach nur Papiernoten. Ihr Wert wird bestimmt von der Höhe der Rücklagen in ausländischer Währung, hauptsächlich in Dollar, über die das Land verfügt. Keine der Landeswährungen Lateinamerikas und der Karibik ist stabil noch können sie es sein. Ihr Realwert kann heute 100 Prozent betragen; und in ein paar Monaten, Wochen oder Tagen kann er infolge externer oder interner Faktoren auf 50, 40 oder zehn Prozent des früheren Wertes gefallen sein. So geschah es mit dem idyllischen, utopischen und folkloristischen Versuch in Argentinien, die Parität des Peso zum Dollar zu wahren, der logischerweise in einer Katastrophe enden mußte. Ähnliches kann vom Verhältnis zwischen Real und Dollar gesagt werden. In Ländern wie Ecuador kam es so weit, daß sie ihre Währung auf den Müllhaufen warfen und den Dollar als einzige Binnenwährung direkt einführten.

In Mexiko führte der Regierungswechsel, der alle sechs Jahre stattfindet, wie üblich zu einer starken Abwertung, wodurch der Wert seiner Währung beträchtlich sank. Brasilien erlitt nach dem letzten spekulativen Run und der Krise von 1998 in kaum acht Wochen die Einbuße der fast 40 Milliarden Dollar, die es durch Privatisierung vieler seiner besten Unternehmen der Produktion und Dienstleistungen erzielt hatte.

Die Kapitalflucht ist eine der schlimmsten Formen des finanziellen Aderlasses, dem die lateinamerikanischen Länder in den letzten Jahrzehnten ausgesetzt waren. Es geht nicht um Gewinnabführungen ausländischer Investoren; es geht nicht um die mit dem Schuldendienst verbundene Ausplünderung, Schulden, die häufig von tyrannischen und korrupten Regierungen gemacht wurden, die dann die erhaltenen Mittel vergeudeten und veruntreuten oder sie zur Haftung für private Schulden oder gelegentliche Entwendungen oder dunkle Geschäfte der Privatbanken benutzten; es geht auch nicht um die wachsenden Verluste des bekannten Phänomens der ungleichen Austauschbeziehungen. Es geht um Geldmittel, die im Land geschaffen wurden wie der den schlecht bezahlten Arbeitern entrissene Mehrwert, die ordentlich erworbenen Ersparnisse der Intellektuellen und Professionellen oder die Gewinne der kleinen Gewerbe-, Handels- und Dienstleistungsbetriebe.

Das Würgeeisen, das die lateinamerikanischen Länder an die Kapitalflucht bindet, ist der ohne jegliche Restriktion noch Anforderung mögliche freie Kauf von konvertierbaren Devisen gegen Landeswährung, eine Rezeptur, aufgezwungen von den internationalen Geldinstituten als geheiligtes neoliberales Prinzip. Es wird eingeschätzt, daß sich diese Kapitalflucht in einigen Ländern wie beispielsweise Venezuela in einem Zeitraum von mehr als 40 Jahren in Größenordnungen von etwa 250 Milliarden Dollar bewegt. Dazu sind die von Argentinien, Brasilien, Mexiko und den übrigen Ländern Lateinamerikas eingebüßten Summen zu rechnen.

Ruhm dem tapferen venezolanischen Volk und seinem mutigen Führer, die eben die Devisenbewirtschaftung gesetzlich festlegten. Damit ziehen sie in ihrem Land einen Schlußstrich unter die von mir hier dargelegte Tragödie.

Ich kann mich erinnern, daß, als 1959 die kubanische Revolution siegte, die Auslandschulden von Lateinamerika insgesamt lediglich fünf Milliarden Dollar betrug, bei einer Bevölkerung von 214,4 Millionen. Die Einwohnerzahl ist auf 543,4 Millionen gestiegen, davon leben 224 Millionen unter der Armutsgrenze, 50 Millionen sind Analphabeten, und im Jahr 2003 liegt die Auslandschulden nicht unter 800 Milliarden Dollar.

Welche ist die Ursache dafür, daß diese Region der Hemisphäre in der Nachkriegszeit nicht eine ähnliche Entwicklung erreichte wie Kanada, Neuseeland oder Australien, die eine Zeit lang europäische Kolonien waren und dazu nicht so reich und so entwickelt wie wir? Liegt es zum Teil vielleicht nicht an dem zweifelhaften Privileg, der Hinterhof der Vereinigten Staaten zu sein? Oder vielleicht, weil wir ein zu verachtendes Ensemble von Weißen, Schwarzen, Indios und Mestizen und daher die Negation dessen sind, was Studien zum Genom des Menschen und wissenschaftliche Forschungen bewiesen haben, daß es nämlich zwischen den verschiedenen Ethnien der Gattung Mensch keine Unterschiede in den geistigen Fähigkeiten gibt? Worin liegt nun die Schuld?

Ich hatte anfangs gesagt, daß alles, was bis heute existierte und noch existiert, der Menschheit auferlegt worden ist. Ich stimme vollkommen mit Karl Marx überein, der behauptete, daß, fänden Produktion und Distribution nicht in einem kapitalistischen System statt und verschwände damit auch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, dann hätte die menschliche Gesellschaft die Prähistorie hinter sich gelassen. Seine Begründungen stützte er auf die dialektische Entwicklung der Geschichte unserer Gattung.

Diese Denkweise mag vielen zu simpel und zu weit hergeholt erscheinen. Marx studierte den Kapitalismus in seiner ersten Phase, die zusammenfiel mit der Geburt einer neuen Klasse, die zur Umwälzung der Gesellschaft der erbarmungslosen Ausbeutung und zur Einleitung einer neuen Epoche und einer gerechten Welt berufen war. Als er diese Standpunkte aufstellte, gab noch nicht einmal Strom, Telefon, Verbrennungsmotoren, moderne schnelle Schiffe mit großer Tonnage, die moderne Chemie, synthetische Produkte, Flugzeuge, die mit Hunderten von Passagieren an Bord in ein paar Stunden den Atlantik überfliegen, die Rundfunkübermittlung, das Fernsehen, die Computertechnik. Er war frei von der schrecklichen Vision des unverantwortlichen Einsatzes der modernen Technik durch den Menschen, dadurch das Zerstören von Wäldern, die Erosion der Böden, die Verwandlung Hunderter Millionen Hektar fruchtbaren Bodens in Wüstengebiete, das Überfischen und die Verschmutzung der Meere, die Artenvernichtung in Flora und Fauna und die Verschmutzung von Trinkwasser und Umwelt verursachend.

Karl Marx, dessen Theorie auf den Bedingungen Englands fußte, das damals am weitesten entwickelte Land, stellte nicht die Forderung nach einem Bündnis der Arbeiter und Bauern; auch konnte er nicht das kolossale Problem voraussehen, das von der damals kolonialen Welt ausgehen sollte. Später wurde dieses von seinem genialen Schüler Lenin, der seine Ideen auf die spezifischen Umstände des russischen Reiches anwandte, entdeckt und vertieft.

Zu Zeiten von Karl Marx, der die beschleunigte Entwicklung der industriellen Revolution in England und die einsetzende Industrialisierung in Deutschland und Frankreich unter die Lupe nahm, wäre niemand – ausgenommen ein Wahrsager, der er nun absolut nicht war – in der Lage gewesen, die Rolle vorauszusagen, die nur 60 Jahre nach seinem Tode die Vereinigten Staaten von Amerika spielen würden.

Während Malthus Pessimismus säte, bestärkte Marx die Hoffnung.

Damals waren die Geographie unseres Planeten und die der Biosphäre eigenen Gesetze – für Böden, Wälder, Meere und Luft – nur wenig bekannt. Sehr wenig wußte man über den Weltraum. Es gab keine Relativitätstheorie, und kein Wort war über den Urknall, den Big Bang, geschrieben worden.

Marx konnte nicht wissen, daß das Mobiltelefon eine Verbindung von einem Ende der Welt zum anderen in Lichtgeschwindigkeit ermöglichte; daß Tag für Tag Billionen Dollar in Aktien, Währungen, Interimsgeschäften, unbeweglichen Grundmitteln und anderen Wertpapieren ihre Besitzer wechseln sollten und daß der Wert der aus Spekulationen erzielten Gewinne über den Umfang des Mehrwertes hinausgehen würde.

Marx glaubte vor allem an die Entwicklung der Produktivkräfte und die unendlichen Möglichkeiten der Wissenschaft und des Talents des Menschen. Für ihn war eine vollständig entwickelte Welt das sine qua non eines Gesellschaftssystems, das in der Lage ist, die für eine volle Befriedigung der materiellen und geistigen Bedürfnisse der Gesellschaft erforderlichen Güter zu produzieren. Für ihn war die Revolution in nur einem Land nicht denkbar. Er dachte so weit, daß er die Idee einer globalisierten Welt in Betracht zog, so wie auch ich sie stets verstanden habe, verbrüdert im Frieden und dem Zugang zur vollen Nutzung der Güter, die sie zu schaffen in der Lage ist. Der Gedanke an eine in arm und reich geteilte Welt kam ihm nicht in den Sinn. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!", hatte er proklamiert. In der Welt von heute könnte dieser als ein Appell zur Einheit aufgefaßt werden, gerichtet an alle manuellen und intellektuellen Arbeiter, die Bauern und die Armen aller Länder in Verfolgung dessen, was als „eine bessere Welt" bezeichnet wird.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit steht unsere Gattung vor der realen Gefahr der Ausrottung. Bedroht ist sie nicht nur von der Zerstörung ihres natürlichen Lebensraumes, sondern auch von den großen politischen Risiken, den immer moderneren Vernichtungs- und Massenvernichtungswaffen sowie den extremistischen Lehren, die sich auf tödliche und vernichtende Kräfte stützen könnten.

Den Frieden kennzeichnen nicht gerade seine besten Tage von Glorie und Hoffnung. Der Ausbruch eines Krieges steht bevor. Dabei wäre dieser keine Konfrontation vergleichbarer Kräfte. Auf der einen Seite stünde die hegemonistische Supermacht mit ihrer erdrückenden militärischen und technischen Kraft, gestützt auf einen prinzipiellen Verbündeten, ein weiteres Kernwaffenland und Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Auf der anderen Seite ein Land, über dessen Volk mehr als zehn Jahre lang Bomben fielen alltäglich Bomben abgeworfen wurden und das Hunderttausende Menschenleben, vor allem von Kindern, durch Hunger und Krankheiten zu beklagen hat nach einem ungleichen Krieg, ausgelöst durch die ungesetzliche Besetzung Kuwaits durch den Irak – Kuwait war ein unabhängiger und von der internationalen Gemeinschaft anerkannter Staat. Die große Mehrheit der Weltöffentlichkeit ist einstimmig gegen diesen neuen Krieg. An erster Stelle verwirft sie den einseitigen Beschluß der Regierung der Vereinigten Staaten, der die internationalen Normen und die Befugnisse der Vereinten Nationen mißachtet, die an sich schon nicht umfassend sind. Es handelt sich hier um einen unnötigen Krieg unter Vorwänden, die weder glaubhaft noch erwiesen sind.

Durch den letzten Krieg 1991 gegen die Vereinigten Staaten vollkommen geschwächt, ist der Irak - in seinem Konflikt gegen den Iran war er in nicht unbedeutendem Maße durch den Westen unterstützt worden – im absoluten Nachteil gegenüber den Offensiv- und Defensivwaffen der Vereinigten Staaten – die in der Lage sind, jegliches Risiko eines irakischen Einsatzes von atomaren, chemischen oder biologischen Waffen zu neutralisieren, sollte jenes Land darüber verfügen, was sehr unwahrscheinlich ist – und außerdem wäre ein solcher Versuch politisch absurd und in militärischer Hinsicht selbstmörderisch.

Die eigentliche Gefahr besteht darin, daß sich eine derartige Kriegshandlung für das irakische Volk zu einem patriotischen Krieg ausweitet, wovon niemand im voraus seine Reaktion und seinen Widerstand versichern könnte, wie lange der Krieg anhalten wird, wieviel Tote und Zerstörung er bringen wird, welche menschlichen, politischen und wirtschaftlichen Folgen er für jede der kriegführenden Seiten haben wird. Zweifelsohne wird die Welt kolossalen ökonomischen Risiken inmitten der heutigen tiefen Krise ausgesetzt sein. Wie sich unter diesen Umständen die Erdölpreise gestalten werden, ist unberechenbar.

In meiner Rede vom vergangenen 29. Januar anläßlich des 150. Geburtstages von José Martí, führte ich mehrere Stellen aus Reden des Präsidenten der Vereinigten Staaten an und unterzog sie einer Analyse. Bei dieser Gelegenheit hier will ich nur einige zitieren, die für sich selbst sprechen:

„Wir werden jede erforderliche Kriegswaffe einsetzen, die gebraucht wird."

„Alle Nationen, wo auch immer, müssen sich nun entscheiden: Entweder sind sie für uns oder für den Terrorismus."

„ Dieser ist ein Kampf der Zivilisation."

„Die Errungenschaften unserer Zeit und die Hoffnungen aller Zeiten hängen von uns ab."

„Und wir wissen, Gott ist nicht neutral." (20. September 2001)

„Unsere Sicherheit wird die Umgestaltung des Militärs erfordern, das Sie anführen werden - ein Militär, das jederzeit bereit sein muß in jeder dunklen Ecke der Welt sofort anzugreifen,... daß wir bereit für den Präventivschlag sind..."

„Wir müssen terroristischen Zellen in 60 oder mehr Länder aufdecken.¨

„Wir stehen vor einem Konflikt zwischen Gut und Böse."

(Rede vor den Kadetten anläßlich des 200. Jahrestages von West Point am 1. Juni 2002)

„Die Vereinigten Staaten werden den UN-Sicherheitsrat beantragen, am 5. Februar zu tagen, um die Fakten zu behandeln, die zu den Herausforderungen des Irak der Welt gegenüber vorliegen."

„Wir werden uns beraten lassen, doch dieses soll nicht falsch verstanden werden. Kommt es nicht zu einer kompletten Entwaffnung durch Saddam Hussein, dann werden wir für die Sicherheit unseres Volkes und für den Frieden der Welt uns an die Spitze einer ihn entwaffnenden Koalition stellen."

„Werden wir zum Krieg gezwungen, so werden wir mit der ganzen Stärke unserer Streitkräfte kämpfen."

(Erklärung vor dem Kongreß am 28. Januar 2003)

Obwohl Präsident Bush seiner Überzeugung Ausdruck verleiht, wonach Gott nicht neutral ist, ist es doch ebenso gewiß, daß Papst Johannes Paul II. und nahezu alle kirchlichen Würdenträger der Welt gegen diesen Krieg sind. Wer interpretiert nun eigentlich die Absichten des Herrn?

Hier wurde zwei Tage lang über die Zukunft der Menschheit diskutiert. Manche fragten, was nach der Globalisierung komme, ob die heutige Weltwirtschaftsordnung langlebig oder von kurzer Dauer sei, wie lange das neue herrschende System anhalte. Ich werde versuchen, auch auf die große Gefahr der Improvisation eine Antwort auf diese Fragen zu geben, die mich mehr als einmal beschäftigten.

Dabei gehe ich von einigen ganz persönlichen Überzeugungen aus, an denen ich festhalte. Die Geschichte wird nicht von den Menschen gemacht. Die subjektiven Faktoren können – auch über lange Zeiträume hinweg – die großen Ereignisse beschleunigen oder verzögern, doch sie sind nicht der bestimmende Faktor, noch können sie das Endergebnis verhindern. Weitreichende und bedeutsame Vorkommnisse menschlichen oder natürlichen Ursprungs, ein Kernwaffenkrieg, die beschleunigte Zerstörung der Umwelt und ein relativ plötzlicher Klimawandel können alle von den vortrefflichsten Köpfen unserer Gattung angestellten Berechnungen und Prognosen umwerfen.

Die sich aus der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ergebenden objektiven Faktoren sind es, die die Ereignisse bestimmen.

Die Ökonomie ist keine Naturwissenschaft; sie ist nicht exakt und kann es auch nicht sein. Sie ist eine Gesellschaftswissenschaft. Konzeptionen und Ideen, Tendenzen und Gesetze, hervorgegangen aus einem bestimmten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem einer Epoche, halten stets noch eine Zeit lang an, auch wenn diese Systeme bereits erschöpft sind oder nicht mehr existieren, wodurch eine korrekte Auslegung der Ereignisse nicht selten erschwert wird. Die außerordentliche Vielfalt an Meinungen und Theorien, die auf den gesellschaftswissenschaftlichen Treffen oder Zusammenkünften zu vernehmen sind, sind ein Beweis dafür. Gleichermaßen ein Beispiel dafür sind die großen Fehlen, die jedem tiefgründigen revolutionären Prozeß anhaften.

Im Hinblick auf die Politik scheint es mir besser zu sagen, sie ist eine Mischung von Wissenschaft und Kunst, doch mehr Kunst als Wissenschaft.

Es darf nicht vergessen werden, daß sowohl in dem einen als auch dem anderen Fall die Verantwortung bei den Menschen liegt; und diese sind so unterschiedlich und vielfältig wie die Kombinationen in ihrem Genom.

Aus der Geschichte kann man eine Lehre ziehen, auf der ich zu beharren pflege. Nur im Ergebnis der großen Krisen ist man zu großen Lösungen gelangt. Meines Erachtens ist diese Regel nur von sehr wenigen Ausnahmen begleitet.

Wir durchleben heute eine große allgemeine Krise, sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Art. Sie ist vielleicht die erste Krise vollkommen globalen Charakters.

Die herrschende Wirtschaftsordnung ist weder eine nachhaltige noch tragbare. Ohne große und tiefgreifende Umwälzungen gibt es keinen möglichen Ausweg. Es braucht keiner Statistiken, die hier und überall zum Verständnis der Realität wiederholt werden. Den Beweis treten die lokalen, regionalen und Krisen der Hemisphäre an, zu denen es immer häufiger kommt. Sie geht an weder armen noch reichen Ländern vorbei. Viele Parteien haben ihr Ansehen völlig verloren. Die Völker werden von Mal zu Mal unregierbarer. Die internationalen Geld- und ähnlichen Institute wie die WTO und Gruppen der Steinreichen wie die der Sieben wissen schon nicht mehr, wo sie tagen sollen. Der Organisationen und der von der Tragödie, die die Welt durchlebt, betroffenen oder dadurch sensibilisierten gesellschaftlichen Bewegungen werden es allerorts mehr und mehr. Die modernen Technologien haben das Übermitteln von Botschaften ermöglicht, ohne auf traditionelle Kommunikationsmittel zurückgreifen zu müssen.

Trotz der 800 Millionen Analphabeten, die es noch gibt, haben Milliarden Menschen auf diese oder jene Weise Zugang zu bestimmten Informationen und leiden Tag für Tag unter den Kalamitäten von Beschäftigungslosigkeit, Armut, Entbehrung von Grund und Boden, ungesunden Lebensverhältnissen, Unsicherheit; Fehlen von Schulen, Wohnungen, minimalen hygienischen Voraussetzungen, Selbstvertrauen und gesellschaftlicher Anerkennung. Sogar die kommerzielle dem Konsumdenken entsprechende Werbung verstärkt noch das Bewußtsein ihrer eigenen Entbehrungen und fehlgeschlagenen Hoffnungen.

Es ist nicht möglich, diese systematische Täuschung fortzuführen; es ist nicht möglich, alle zu töten. Auf unserem Planeten leben bereits 6,22 Milliarden Menschen, deren Anzahl sich in nur einem Jahrhundert mehr als vervierfacht hat. Zum Heer der Unzufriedenen der Dritten Welt gesellen sich Millionen ausgebildeter Arbeiter, Männer und Frauen der professionellen Bereiche und der Mittelschichten der Industrieländer, die ihr eigenes und das Schicksal ihrer Kinder immer mehr bekümmert, denn sie erleben, wie Luft, Wasser, Böden und Pflanzen unter der Umweltverschmutzung leiden, und erleben wie durch Verantwortungslosigkeit bei der Nutzung des natürlichen Ressourcen die ihnen lieb gewordenen Dinge ihres Umfeldes verschwinden. Das Dasein der Bürger wird allerorts immer stärker zu einem Kampf um das Überleben.

Die Menschheit hat keine andere Alternative als die der Kursänderung. Daran besteht kein Zweifel. Wie soll nun diese Änderung aussehen? Welche neuen Formen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens wird es geben? Es ist diese die am schwierigsten zu beantwortende Frage und führt mich zum letzten Gedanken, den ich darlegen will.

Hierbei hat der subjektive Faktor seine wichtigste Rolle zu spielen, und dazu muß er informiert und zum Denken angeregt werden. Übermittlung von Information, Anregung von Debatten, Bildung von Bewußtsein wird Aufgabe der Fortgeschrittensten sein. Ein ermutigendes Beispiel neuer Kampfesmethoden war das Weltsozialforum von Porto Alegre. Die hunderttausend Menschen, die sich dort zum Nachdenken und Debattieren einfanden, vermittelten ein Bild der sich entwickelnden und ankurbelnden Kräfte der sich objektiv in der Welt aufdrängenden Veränderungen.

Wir in Kuba bezeichnen diesen Kampf als die Schlacht der Ideen. In dieser Schlacht sind wir seit drei Jahren und zwei Monaten stark engagiert. Mehr als hundert soziale Programme sind daraus hervorgegangen, mehrheitlich für die Bereiche Volksbildung, allgemeine und künstlerische Kultur, massive Wissensvermittlung, Umgestaltung der Schulunterrichts, Verbreitung der Auffassungen zu den unterschiedlichsten politischen und wirtschaftlichen Themenkreisen, Sozialarbeit, erhöhte Möglichkeiten für Hochschulstudien, gründliches Erkunden der spürbarsten sozialen Probleme, ihre Ursachen und Lösungswege; Erreichen einer integralen Allgemeinbildung, ohne die auch ein Universitätsdiplom nicht von der Eigenschaft eines funktionellen Analphabeten befreit.

Zwar sind unsere Programme anspruchsvoll, doch sind wir durch die bisher erzielten Ergebnisse ermutigt.

Ungeachtet der tiefen Wirtschaftskrise, die die Welt durchlebt, konnte unser Land die Beschäftigungslosigkeit auf 3,3 Prozent reduzieren. Für Ende dieses Jahres erwarten wir eine weitere Senkung bis unter drei Prozent, womit wir dann als ein Land mit Vollbeschäftigung gelten würden.

Das Nützlichste unserer bescheidenen Bemühungen im Kampf um eine bessere Welt wird es vielleicht sein zu zeigen, wieviel man mit so wenig erzielen kann, wenn alle menschlichen und materiellen Ressourcen der Gesellschaft in den Dienst des Volkes gestellt werden.

Es darf weder die Natur zerstört, noch dürfen die überlebten und verschwenderischen Konsumgesellschaften fortbestehen. Es gibt einen Bereich, in dem die Produktion von Gütern ins Unendliche gehen darf: der Bereich des Wissens, der Kultur und der Kunst in all ihren Äußerungen, einschließlich einer sorgfältigen ethischen, ästhetischen und solidarischen Erziehung, des gesellschaftlich, geistig und körperlich gesunden umfassenden spirituellen Lebens, ohne das man niemals von Lebensqualität sprechen könnte.

Gibt es etwa etwas, das uns am Erlangen dieser Ziele hindert?

Wir wollen das beweisen, was wir alle proklamieren, nämlich daß eine bessere Welt möglich ist!

Die Stunde ist gekommen, da die Menschheit beginnen sollte, ihre eigene Geschichte zu schreiben!

Vielen Dank